27. August 2023 by mail@nicolesimon.com Allgemein 0

Theorien eine Gestalt geben

Theorien eine Gestalt geben

Das Prinzip der Kunst: Was die Universalgenies Goethe und Leonardo da Vinci verbindet

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Leonardo da Vinci und Goethe entstammen zwar verschiedenen Epochen, haben aber viel gemeinsam: So wurde Leonardo mit seiner „Mona Lisa“ zur Legende und feierte seinen Siegeszug in der Renaissance. Goethe wurde mit seinem „Werther“ in Zeiten von Aufklärung und Klassik berühmt. Auch er vereinte in sich einen unermesslichen geistigen Reichtum, schöpferische Kraft und Lebensklugheit und sah die Erscheinung der Dinge in ihren Zusammenhängen. Die Kunst erwies sich für beide als Ausdruck von Ordnung und rückführbar auf die Gesetze der Natur. Leonardo war der Erste, der erkannte, dass zeichnerische Entwürfe von Maschinen das perfekte Werkzeug und Hilfsmittel für Forschung und Analyse sind. Diese mechanischen Entwürfe waren für ihn Teil eines geistigen Prozesses, den er durch die zeichnerische Darstellung vollenden konnte. Er wollte immer wissen, was sich hinter den gezeichneten Formen eigentlich verbirgt: einerseits die theoretischen Überlegungen, mit denen ein mechanischer Entwurf überhaupt erst beginnt und andererseits die grafischen Mittel, die benötigt werden, um den Theorien eine Gestalt zu geben. Seine Theorien fasste er nicht in Worten, sondern in Bildern zusammen, was dazu führte, dass seine Maschinen nicht unbedingt in einem realen Raum stehen, sondern vielmehr im gezeichneten, virtuellen Raum des Bildes

Das Unsichtbare sichtbar zu machen, die Regelmäßigkeit und Gesetzmäßigkeit zu entdecken, dieser Arbeit gaben sich da Vinci und Goethe gleichermaßen hin – in der Malerei und Literatur. 

Die Fotokünstlerin Nicole Simon interessiert weniger die Wiedergabe der Orte und Gegenstände, die für Goethe und Leonardo da Vinci von Bedeutung waren, als die Beziehung zwischen ihnen und dem, was die Welt auch heute im Innersten zusammenhält. Das Große zeigt sich in ihren Bildern im Kleinen und umgekehrt. Wie diese Universalgenies, die alles Erworbene sogleich verarbeitet und wieder neu hervorgebracht haben, antwortet sie gestaltend auf das, was ihr begegnet. Ihre Bilder halten für Augenblicke die Zeit an und schärfen den Blick fürs Wesentliche. Damit steht sie in der Tradition der Griechen: „Alles kommt von allem, aus allem wird alles, alles endet in allem, weil alles, was in Teilen existiert, aus diesen Teilen zusammengesetzt ist.“

Der „uomo universale“ schuf nicht nur Gemälde wie die „Mona Lisa“ oder das „Abendmahl“, sondern hinterließ auch 6000 Blätter mit Naturstudien, Architektur, Anatomie, Flug- und Waffentechnik. Der Künstler und Erfinder schrieb in Spiegelschrift, vermischte das Italienische mit dem Lateinischen und örtlichen Dialekten, warf Zeichnungen und Abhandlungen durcheinander, so dass nicht erkennbar ist, wofür sie gedacht waren. Er füllte die Ränder mit Anmerkungen, die manchmal keinen Bezug zum Text haben und ließ Entwürfe und Beschreibungen ineinanderlaufen. Alles, was ihm in seinem Leben begegnete, wurde einer genauen Prüfung unterzogen und verwertet. Damit steht er in der Tradition der Griechen: „Alles kommt von allem, aus allem wird alles, alles endet in allem, weil alles, was in Teilen existiert, aus diesen Teilen zusammengesetzt ist.“ Leonardo führte physische Tatsachen, analytische Berechnungen und ästhetische Mutmaßungen zusammen. Probleme löste Leonardo mit einer praktischen und empirischen Herangehensweise. In seinen Forschungen waren Natur und Geschichte, Geist und Körper keine Gegensätze, und die Grenze zwischen Wissenschaft und Kunst war stets durchlässig. Auch wenn er das sichtbare Universum erforschte, so war ihm auch bewusst, dass das, was er sieht, nicht der ganzen Realität entspricht. Außerdem ließ er Zweifel in Bezug auf Wahrnehmung, Vernunft und Intuition zu. Dennoch war er davon überzeugt, dass der Wille nicht nachlassen darf, das akzeptierte Wissen ständig zu hinterfragen.

Auch Goethe hatte immer einen Skizzenblock zur Hand. Selbst nachts stand er auf und notierte seine Ideen, dokumentierte alles gleichwohl für die Literatur sowie die Wissenschaft. Goethe entdeckte den Zwischenkieferknochen, entwickelte seine Farbenlehre. Zeitlebens war Sammler und Botaniker. Da Vinci war Anatom, sezierte Leichname, Konstrukteur von Kriegsgeräten und Chronist der Natur. Er erfand die Taucherglocke, den Fallschirm, die Druckpumpe, die Drehbank und den Brennspiegel. Da Vincis penibel aufgezeichnete Tagebücher, „die Codici“, geben Auskunft über seine analytische Methode, die sich von mittelalterlicher Dogmatik und Darstellungskunst radikal verabschiedete und statt ihrer die von der Physik durchdrungene Natur nicht als Landschaftsidylle, sondern als wahrhaft durchdachte in den Hintergrund vieler seiner Bilder, so auch der „Mona Lisa“ stellte. Ein Zurück zur Antike wollte da Vinci ebenso wenig wie Goethe. Von beiden lässt sich konkretes Handeln und die ganzheitliche Betrachtung der Dinge lernen. Noch in seinem letzten Lebensjahr war Goethe bis zuletzt unermüdlich tätig. Abschluss suchte der Meister wie Leonardo da Vinci immer im Einzelnen, doch konnte er mit der Vorstellung, dass das Leben erst am Ende zu seiner Vollendung kommt, nichts anfangen. 

Dr. Alexandra Hildebrandt, Publizistin und Nachhaltigkeitsexpertin

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